Wie der Mensch er selbst wird

Selbstsucht und Selbstlosigkeit sind seltsame Wörter und Geschehen. Wie kann man das suchen, was man doch ist und von dem loskommen wollen, das doch alles in sich trägt, was man ist und tut? Was ist denn das Selbst des Menschen eigentlich? Es ist zunächst jenes Stück Wirklichkeit, das besagt, dass er ist, Er, der Mensch. Er ist dieser Mensch und kein Anderer, aber das alles verbleibt im Äußerlichen.

Tiefer betrachtet, bedeutet das „Selbst“ das Eigentümliche, das Charakteristische, das Einer ist. Es sind seine Eigenschaften, Anlagen, Möglichkeiten, aber auch Grenzen, Fehler, Untugenden. Das alles ist eine Einheit und sammelt sich um den Mittelpunkt dieses einen Menschen. Es ist seine „Persönlichkeit“. Je reicher und entschiedener, je voller diese Eigenschaften entwickelt sind, desto größer ist eine Persönlichkeit.

In einer noch tieferen Betrachtung ist der Mensch in seinem Selbst nicht nur da, sondern er hat sich auch. Er weiß nämlich von sich. Er kennt seine Möglichkeiten und Mängel, jedenfalls einige von ihnen. Er kann sich besser selbst kennen lernen, sich betrachten und verstehen. Er kann sich beurteilen und prüfen und vielleicht das Glück fühlen: ich darf es sein, so sein, so werden.

Ein Weiteres ist damit gegeben, wenigstens die Möglichkeit dazu: Selbst-sein bedeutet, dass der Mensch über sich verfügen kann. In dem er spricht: „Ich tue das!“, verfügt der Mensch über sich, bestimmt sich selbst. Dazu wurde er auch nicht von innen her genötigt, wie es beim Tier geschieht, durch Organe, Triebe, Veranlagungen. Der Mensch hat dies alles, aber er kann auch sein eigener Herr darüber werden, in dem, das man „Freiheit“ nennt. So erlangt er Macht über sein Tun und kann ebenso an sich arbeiten, sich selbst erziehen.

Alles was geschieht, hat seinen Grund, auch eine freie Entscheidung. Dies ist aber kein Einwand, um die menschliche Freiheit zu negieren. Der Grund, besser das Motiv, einer Entscheidung, darf nicht mit der Ursache verwechselt werden. Das Motiv einer Entscheidung ist jeweils diese oder jene Absicht, Ursache ist sie sich selbst, sie ist Anfangskraft, Initiative. Erst die Freiheit macht Entscheidung möglich.

Die Freiheit hat einen inneren Widerhall im Menschen: das Gewissen. Es ist das Bewusstsein der Verantwortung für das Getane. Man hat dafür einzustehen, vor der Ordnung von Gut und Böse. Kein Anderer, als man selbst, steht in dieser Verantwortung und hier offenbart sich das Selbst in seiner unverwischbaren Strenge und zugleich würdevollen Größe.

Selbstsucht und Selbstlosigkeit zeigt sich letztlich in jener Weise, wie ein Mensch er selbst ist und wie er sich besitzt, welche Haltung er dabei einnimmt und welche Meinung ihn dabei bestimmt. Es gibt da eine Paradoxie der Person: Sobald sie sich selbst im Auge behält, stellt sie gewissermaßen den geistigen Raum voll, in welchem das betreffende Stück Leben sich vollziehen soll, tritt der eigenen Verwirklichung in den Weg. Vergisst die Person sich aber, wendet sie sich rein der Sache zu und dann öffnet sich der Raum, in dem sie nun erst richtig sie selbst wird.

In den Ich-Du-Beziehungen des Lebens geht es oft um das Achten darauf, welchen Eindruck man macht, ob der Andere uns richtig einschätzt, ob wir, wenn wir geben, auch bekommen, und so fort. Hier verkümmert aber der lebendige Ich-Du-Bezug. Der Andere spürt dies, wird misstrauisch. Jener aber, der offen in der Freundschaftlichkeit, absichtslos in der Ehrerbietung und Hilfe, der geht von sich weg. Er erhebt sich frei und selbst-einig in seinem eigentlichen Selbst und ruft das des Anderen. Je mehr der Mensch sich sucht, desto mehr entgleitet er sich. Je wichtiger er tut, desto kümmerlicher wird er. Im Weggehen vom eigenen Ich zum Du, zum Werk, zur Aufgabe, erwacht und wächst das eigentliche Selbst. Natürlich muss man auch auf das Eigene achten, die eigentliche Haltung des Menschen ist aber die, von sich weg auf den Anderen zu, auf die Aufgabe zuzugehen.

In der christlichen Religion kehrt diese Ordnung wieder. Auch Gott gegenüber gibt es die Selbstsucht und die Selbstlosigkeit. Im Maße der Mensch Gott sucht, geht er von sich weg, zum göttlichen Du. Aber nicht so, dass er sich darin abhanden käme, sondern sich in seiner Eigentlichkeit in Gott findet. Jesus spricht es aus (Mt 10:39): „Wer sein Leben festhält, wird es verlieren, wer es aber hergibt, wird es finden“. Leben und Seele ist hier im griechischen Wort im Neuen Testament gleich und wenn der Mensch sie im Gehorsam gegen den göttlichen Willen hergibt, gibt Gott sie ihm im selben Augenblick wieder, und sie ist mehr sie selbst geworden, als sie es vorher war. Das ist der geheimnisvolle Austausch zwischen dem Menschen und Gott!

Gott will in den Menschen eingehen, will in ihm Raum finden und menschliche Gestalt gewinnen. Die eigentliche wesenhafte Menschwerdung ist in Christus geschehen, die dies alles erst möglich macht. In einer abbildenden Gnade will Gott in jeden Menschen eingehen und sich in ihm ausdrücken. Dies so, wie es nur in diesem Menschen, in dieser Persönlichkeit möglich ist. Die Heiligen der Kirche sind ein besonderes Zeugnis dafür, wie Gott im Menschen erscheinen kann.

Alle Tugenden sind Weisen, wie sich, jeweils in besonderen Beziehungen, Gottes Gut-Sein im Menschen spiegelt. Bei der Selbstlosigkeit ist dies ebenso. Gott gab den Menschen seinen Namen als „Ich bin der Ich-bin“ an. Damit hat Gott seine ewige Selbstheit ausgesagt. Er ist das eigentliche ursprungslose Sein in sich selbst. Im Philipperbrief der Heiligen Schrift hat der Heilige Geist Paulus vom Sohn Gottes offenbart (Phil 2:3-11), dass dieser nicht an seinem ewigen Selbstsein festgehalten hat. Er hat es nicht als etwas zu Unrecht angeeignetes angstvoll und gewaltsam für sich behalten, sondern sich „entäußert“. Er hat sich zum Knecht, zum vielgebundenen Menschen gemacht, bis zum bitteren Ernst, bis zum Tod am Kreuz. Daraus erhielt er einen neuen Namen, den des „Christus“, des siegreich Gesalbten, den des „Kyrios“, des Gott-Herrn. Gott zeigt sich dem Menschen hier als der souverän Selbstlose. Jede echte Selbstlosigkeit des Menschen spiegelt damit in fernem Abglanz Gottes Geheimnis in der Menschwerdung wider.

S.D.G.

In Erinnerung an Romano Guardini

Hier kannst du kommentieren

Diese Seite verwendet Akismet, um Spam zu reduzieren. Erfahre, wie deine Kommentardaten verarbeitet werden..

BRUNONIS

- die Gottsuche der Kartäuser und ihr Orden -

Neue katholische Frauenbewegung

Was Er euch sagt, das tut!

Gut Katholisch

... katholisch unterwegs mit Blick auf das Hl. Land

Das hörende Herz

... katholisch unterwegs mit Blick auf das Hl. Land

Neuer Anfang

... katholisch unterwegs mit Blick auf das Hl. Land

Hagen Unterwegs

Schau in Dich - Schau um Dich - Schau über Dich

Katholisch? Logisch!

SPIRITOTROPH, HÄRETICOPHOB, ECCLESIOPHIL, HOSTIOPHAG

Stefan Oster SDB

... katholisch unterwegs mit Blick auf das Hl. Land

Recktenwalds Essays

... katholisch unterwegs mit Blick auf das Hl. Land

Wegbegleiter - Fährtensucher - Wellenreiter

In den Fußspuren des Rabbis - Gemeinsam unterwegs mit Christof Lenzen

Auf dem Weg

Pfarrer der Kath. Stadtpfarrei St. Jakob - Schwandorf

Frischer Wind

... katholisch unterwegs mit Blick auf das Hl. Land