Christusorte: Die Synagoge in der Zeit Jesu

In den archäologischen Resten von Kafarnaum am See Gennesaret erkennt man noch heute die Vorschrift, dass die jüdische Synagoge am höchsten Punkt einer Siedlung stehen musste. Dazu trägt dort eine künstlich angelegte Plattform bei. Allerdings ist dieser Bau nicht zur Zeit Jesu entstanden, sondern um 400. Die Baumeister gingen bei Römern und Griechen in die Schule.

Unter den steinernen Fragmenten und Verzierungen dieser alten Synagoge, die am  Ausgrabungsplatz aufgestellt sind, finden sich Darstellungen des Toraschreins. In ihm wurden in der Synagoge die biblischen Bücher und Schriftrollen aufbewahrt. Andere Plastiken und Reliefs zeigen Darstellungen, die sich als Sinnbilder des Lebens und der Fruchtbarkeit verstehen lassen. Man entdeckt eine Palme mit Dattelbüschen, eine Erinnerung an den Lebensbaum. Die Weintrauben, das Rankenwerk und der Weinkrug symbolisieren Gesundheit, Rausch und Zeugungskraft. All dies soll aufzeigen: Die Synagoge, in der das Wort Gottes aufbewahrt und gelehrt wurde, ist ein Ort, an dem Freude, Kreativität, zeitliches und ewiges Leben vermittelt wird. Einige Worte Jesu, die er nach dem Johannesevangelium in der Synagoge von Kafarnaum gesprochen hatte, gewinnen so einen neuen Klang. Etwa, wenn er davon spricht, er ist das Brot des Lebens, der wahre Weinstock oder das Licht der Welt. Der Evangelist Johannes konzentriert alle Leben verheißende Symbole auf die Person Jesu.

Wenn man die Geschichte der Synagoge im Judentum betrachtet, dann muss vorausgeschickt werden, dass das Judentum nur ein einziges religiöses Zentrum kennt, nämlich den Tempel von Jerusalem. Wer in der Nähe wohnt, hat kein Problem dort zu beten und am Opferkult teil zu nehmen. Anders sieht es in der Diaspora, der „Zerstreuung“ aus, wie soll man dort seinen Glauben leben und sich religiös betätigen, wenn man hunderte oder tausende Kilometer von der Heiligen Stadt entfernt wohnt?

Diese Frage wurde erstmals durch die Verschleppung einer großen Zahl von Israeliten in die Babylonische Gefangenschaft von 587-538 v. Chr. aktuell. In der Fremde, umgeben von Andersgläubigen, fühlen fromme Juden das Bedürfnis einer Stätte des gemeinsamen Gebets und zum Studium des mosaischen Gesetzes. Ein solcher Versammlungsort könnte das Haus des Ezechiel (Ez 8:1) gewesen sein. Was als Notbehelf hier begann, entwickelte sich dann zu einer festen Einrichtung. Im Jahr 545 v. Chr. wurde der Tempel in Jerusalem wieder aufgebaut und als im Zusammenhang damit eine neue Begeisterung für Kult und Gesetz erwachte, gewann die Synagoge als Ort der Gesetzespflege eine erhöhte Bedeutung.

In den Tagen Jesu und im ersten nachchristlichen Jahrhundert treffen wir dann auf den Tatbestand, dass es in jeder größeren jüdischen Siedlung eine Synagoge gibt. Der hl. Paulus kann deshalb seine Missionsarbeit in Kleinasien und Griechenland in den Jahren von 50-60 laut der Apostelgeschichte jeweils in einer Synagoge beginnen. Paulus ahmt damit seinen Meister Jesus nach, von dem die hl. Schrift 16mal berichtet, dass er in der Synagoge lehrte oder verkündete.

Nur wenige literarische und archäologische Zeugnisse aus der Zeit Jesu lassen ein genaues Bild einer typischen Synagoge entstehen. Aus dem ersten nachchristlichen Jahrhundert sind lediglich 5 Synagogenruinen ausgegraben worden. Zusammen mit späteren jüdischen Aufzeichnungen über diese Einrichtungen kann dennoch vorsichtig ein Idealbild der jüdischen Synagoge entworfen werden, zumal das Judentum sehr auf Tradition bedacht ist.

Die Größe des Raums einer Synagoge ist sehr variabel. Es gibt dafür keine Vorschriften, schließlich sind die ersten dieser Einrichtungen aus Privathäusern entstanden, ähnlich wie die ersten christlichen Kirchengemeinden. Handelt es sich um eine überdurchschnittlich große Synagoge, wie in Kafarnaum, pflegte man den Raum durch Säulenreihen in ein Hauptschiff und Nebenschiffe zu unterteilen. Viele Synagogen haben einen „Geniza“ bezeichneten Nebenraum, in dem man die heiligen Schriften aufbewahrt und in dem der transportable Toraschrein steht. Entfernt erinnert dieser Raum an die Sakristei christlicher Kirchen.

Der sakrale Mittelpunkt einer Synagoge ist der ursprünglich tragbare Schrein der Torarollen. Er wird an der Hauptwand der Synagoge aufgestellt. Sie ist in der Regel nach Jerusalem hin ausgerichtet. In der Mitte des Raums befindet sich eine hölzerne Plattform, auf der das Lesepult steht. Von hier erfolgt die Vorlesung der heiligen Texte.

An den Seitenwänden und der Stirnwand, dem Toraschrein gegenüber, befinden sich treppenartig ansteigende Steinbänke als Sitzgelegenheit für die Männer der Gemeinde. Bei späteren Bauformen erhebt sich über diesen Bänken eine Empore, die ausschließlich für Frauen vorgesehen war. Bis dahin durften Frauen nur in einem Nebenraum oder einer durch Vorhänge abgeschlossenen Ecke am Synagogendienst teilnehmen.

Vor dem Toraschrein stehen in einem Halbkreis „Ehrensitze“ für Älteste, Schriftgelehrte und Pharisäer. Einer dieser Ehrensitze heißt „Lehrstuhl des Mose“ (siehe Mt 23:2). Jesus hat bei verschiedenen Gelegenheiten die Ehrsucht und den Dünkel der Schriftgelehrten und Pharisäer kritisiert, mit dem sie in den Synagogen „die vordersten Sitze“ beanspruchen (Mk 12:38 f.).

Befindet sich in der Nähe der Synagoge ein Bach oder Brunnen, dann dient er zur rituellen Reinigung vor dem Betreten der heiligen Räume. Andernfalls wurden künstliche „Wasseranlagen“ eingerichtet, man legte etwa eine „Mikwe“ an, eine rituelles Bad, oder stellt Krüge mit Wasser am Eingang der Synagoge bereit.

In der Synagoge studierte man also hl. Schiften und unterrichtete die Kinder im Gesetz. Sie war aber auch Stätte des Gebets, die einen gewissen heiligen Charakter zukam. Sie war ebenso Gerichtsraum, in dem Urteile gefällt wurden und Strafen vollzogen. Andeutungen dafür findet man beim Evangelisten Matthäus (Mt 10:17). Seine Worte spiegeln die nachösterlichen Erfahrungen der jungen christlichen Gemeinde.

Damit ein ordentlicher Synagogendienst abgehalten werden konnte, mussten mindestens zehn Männer anwesend sein, Frauen zählen dabei nicht. Ein Synagogenvorsteher wachte über den korrekten Ablauf, dem ein Synagogendiener zur Seite stand. Die Gottesdienste fanden am Sabbat und an Feiertagen statt, am Sabbat gleich zweimal, gegen 9 Uhr und gegen 16.30 Uhr, zur Stunde der täglichen Abendopfer in Jerusalem. An größeren Orten wurden auch Montags und Donnerstags Gottesdienste abgehalten, um Bauern, die zum Markt kamen, die Gelegenheit zu bieten, einem „vollen Gottesdienst“ beizuwohnen, in abgelegenen Orten war dazu oft keine Möglichkeit vorhanden.

Grundsätzlich konnte jeder erwachsene Israelit als Lektor an Gottesdiensten fungieren. Die Zahl der Lektoren wechselte je nach „liturgischen Rang“ des Tages. Am Sabbatvormittag waren es sieben. Jeder Vorleser sollte wenigstens drei Verse vortragen, an Sabbat also mindestens 21 Verse. Das Hebräische, in dem die heiligen Texte verfasst waren, ist zur Zeit Jesu nicht mehr Volkssprache. Die Texte wurden deshalb von einem geschulten Dolmetscher in die westaramäische Landessprache übertragen und zwar Vers für Vers. Diese Übertragungen erfolgten ohne Vorlagen und frei, was Einfühlungsvermögen und theologisches Wissen voraussetzte.

Am Sabbatvormittag folgte beim Gottesdienst auf die Tora-Lesung eine Lesung aus den pro-prophetischen Büchern. Diese Lesung war nicht festgelegt, der letzte Lektor oder ein sich freiwillig Meldender wählte den Abschnitt selbst aus. Auch hier wurde ein Dolmetscher benötigt. Im letzten Teil des Gottesdiensts folgte eine Predigt, die jeder erwachsene Teilnehmer halten konnte. Sie war kurz und einfach gehalten, der Redner entwickelte kaum eigene Gedanken, schmückte nur die gehörten Schriftexte aus und stellte bekräftigende Vergleich an. Der Synagogendiener schloss anschließend die Schriftrollen vor der versammelten Gemeinde in den Toraschrein, den man auch „Arche“ nannte. Ohne Schlussritus gingen die Menschen dann auseinander.

Bei den jungen christlichen Gemeinden verlor der Synagogendienst immer mehr an Bedeutung, lediglich der Evangelist Lukas zeichnete einen groben Umriss in seinem vierten Kapitel. Begleitet man Jesus mit seinen Jüngern in einen Gottesdienst etwa in Nazareth, dann würde dieser mit einem liturgischen Teil beginnen. Es sind Segenssprüche und Gebete, entnommen aus den 5 Büchern des Moses. Eindrucksvoll hier sicherlich das „Höre Israel“. Es folgt das „Achtzehngebet“, benannt nach den 18 Lobpreisungen, aus denen es zusammengesetzt ist. Zu diesem ersten Teil gehört auch der aaronitische Segen aus Num 6:24-26.

Im zweiten Teil geht es nach den Gebeten um Belehrung und Ermahnung. Er beginnt mit einer Lesung aus dem Mosaischen Gesetz. Dabei kommen, wie bereits erwähnt, mehrere Lektoren und die Dolmetscher zum Einsatz. Jesus hat bis jetzt ruhig zugehört. Als die Lesung aus den pro-prophetischen Büchern ansteht, meldet er sich zu Wort. Diese Texte gelten als geringer geschätzt, Jesus braucht dem Synagogendiener nur ein Zeichen geben, dann bringt er ihm das Buch der Propheten, hier eine Rolle der Jesaja-Texte.

Jesus tritt in die Mitte des Raums, an das erhöhte hölzerne Lesepult. Er sucht in der Rolle jenen Abschnitt aus, der ihm besonders viel bedeutet und liest stehend vor: „Der Geist des Herrn ruht auf mir, denn er hat mich gesalbt. Er hat mich gesandt, damit ich den Armen eine frohe Botschaft bringe; damit ich den Gefangenen die Entlassung verkünde und den Blinden das Augenlicht; damit ich die Zerschlagenen in Freiheit setze und ein Gnadenjahr des Herrn ausrufe“ (Lk 4:18-23). Die Vorlesung hatte nur zwei Verse, was zumindest möglich ist.

Nach den hebräischen Worten von Jesus tritt kurz der Dolmetscher in Aktion. Jesus gibt dann die Schriftrolle an den Synagogendiener zurück und setzt sich, um von seinem Recht Gebrauch zu machen, das jedem Israeliten zusteht, eine kurze Predigt zu halten. Nach Lukas besteht er aus folgenden Satz: „Heute hat sich das Schriftwort, das ihr eben gehört habt, erfüllt“. Jesus legt damit dar, dass sich das Schriftwort in Jesaja mit seiner Person verwirklicht hat. Mit ihm ist die „Heilszeit“ angebrochen.

Die Synagogenbesucher bewundern einerseits das Selbstbewusstsein Jesu, seine Gabe sich gewandt und überzeugend auszudrücken, anderseits haben sie kein Gespür für das Geheimnis seiner Person. Sie verkleinern ihn, reduzieren ihn auf seine Abstammung und die Durchschnittlichkeit seiner Familie. Doch dieser Gottesdienst hat ein dramatisches Nachspiel, die Menschen aus Nazareth werden wütend auf Jesus. Sie fühlen sich provoziert, beleidigt, lassen sich zu einem Mordversuch am Rande der Stadt hinreißen (Lk 4:29).

Jesus hat seine Verkündigung nicht an einen bestimmten Ort gebunden, nicht wie bei Johannes dem Täufer, dessen Wort nur jene erreichte, die zu ihm hinaus in die Wüste pilgerten. Jesus ging dort hin, wo die Menschen arbeiteten und lebten. Er predigte nicht nur in den Synagogen, sondern an den Ufern des Sees Gennesaret auf einem Boot oder auf einem Berg. In Lk 13:26 erfahren wir, dass Jesus auch als Wanderprediger auf Straßen und Plätzen seine Stimme erhob, jüdische Rabbiner taten dies ebenso. Jesus predigte auch im Privathaus (Mk 2:17).

Die Evangelisten erwähnen 34mal, dass Jesus in der Synagoge lehrte. Dieser Ort hatte offiziellen Charakter, war Versammlungsraum der jüdischen Gemeinden und deren verantwortlichen Autoritäten. So lange Jesus die Sympathie der Bevölkerung und der religiösen Führer hatte, stand ihm die Synagoge jederzeit offen. Erst als der Widerstand gegen ihn wuchs, verwehrte man ihm den Zugang.

Jesu Predigten hatten „Vollmacht“. Die anderen Schriftgelehrten teilten über Gott etwas mit, das nicht ihrer eigenen Erfahrung entsprang. Es war Gottesbotschaft aus zweiter oder dritter Hand. In Jesu Worten spürten die Menschen, dass Gott unmittelbar gegenwärtig ist. Flochten die Propheten immer wieder in ihrer Verkündigung die Worte ein: „so spricht Gott, der Herr“, so spricht Jesus: „ich aber sage euch“.

Diese Vollmacht in den Worten Jesu bezeugte sich auch dadurch, dass sie bewirkten, was sie aussagten. Jesus hat in den Synagogen nicht nur das Heil verkündet, sondern auch Heilung bewirkt. Zeitgenössische Texte erwähnen, dass selbst Kranke und Aussätzige Zugang zum Synagogendienst hatten, deshalb konnte sie Jesus dort auch heilen oder Dämonen austreiben.

Der Zugang zu den Synagogen wurde Jesus besonders deshalb verwehrt, weil er am Sabbat heilte, also für die religiösen Führer zu liberal mit den Geboten umging. In Mk 3:1-6 heilt Jesus einen Mann mit einer „verdorrten Hand“ am Sabbat. Es ist eine Erzählung am Anfang des öffentlichen Wirkens und sie zeigt auf, dass Jesus nicht erst in der Karwoche von seinem Volk und den führenden Männern verworfen wurde. Die „Synagoge“ ist es, die ihm zum Verhängnis wird, hier trifft er auf den wachsenden Widerstand der offiziellen Kreise, auf deren Hass, was schließlich zu seiner Verurteilung durch die Römer führt.

S.D.G.

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