Reinkarnationslehre und Evangelium

Grundsätzlich ist die Reinkarnationslehre die logischste Erklärung des Bösen. Das Böse muss nicht geglaubt, kann aber erklärt werden. Es ist der chaotische Zustand der Welt und des Menschen, der Ordnung, nicht zum Guten, aber zum „Nichts“ sucht. Das christliche Evangelium beschäftigt sich hingegen nicht mit der Erklärung des Bösen, sondern mit dessen Überwindung. Im Vater-unser-Gebet heißt es deshalb: (Gott) erlöse uns von dem Bösen und nicht: erkläre uns das Böse. Das Evangelium verändert die Sichtweise auf das Böse und antwortet mehr auf die Frage: Wie kann man in einer ungerechten Welt gerechtfertigt werden und gerecht leben?

Das Reinkarnationsmodell ist dagegen, bezogen auf die geänderte westliche Gestalt der Reinkarnationslehre, ein Legitimationsmodell des Bestehenden. In den östlichen Religionen und den indischen Weisheitslehren geht es nicht um den Beweis der Reinkarnation. Es gilt sich davon zu befreien, und zwar durch Rückzug aus der Welt, durch Askese oder liebende Hingabe an Gott und Götter. Die Antwort auf den Tod soll irgendwann nicht der Kreis an Wiedergeburten sein, sondern etwa das bewusste Aufgehen in der Wonne des Brahman.

Dabei wird ein ethisches Grundanliegen offenbar: das immerwährende Sterben soll z.B. im Buddhismus durch ein Ausbrechen aus dem falschen Ich-Denken gelingen. Der Egoismus soll ausgerottet werden, bis zum Apersionalismus. Das „Nicht-Selbst“ wird eine Führung zur Meditation über die Vergänglichkeit und Ichsüchtigkeit. In diesem Prozess gibt es kein ontologisches Ich. Das Selbst ist praktisches Postulat, unkonkret, und das Modell der Seelenwanderung ist nicht die ständige Transmigration eines persönlichen Ichs, sondern Einladung zur ethischen Neugeburt.

Das Reinkarnationsmodell kann Menschen dazu verhelfen ihr geschichtliches Schicksal und den Tod zu ertragen. Es sind jahrhundertealte Erfahrungen, die zur der Überzeugung führen, dass Ungerechtigkeit und Egoismus in einem Leben nicht überwunden werden können. Wer aber an die Einmaligkeit des menschlichen Lebens, des persönlichen Ichs, glaubt, an eine generelle Machbarkeit, die im Christentum durch den göttlichen Eingriff erfüllt ist, der wird das ethische Problem lösbar, erlösbar, vorfinden.

In der westlichen Welt setzte sich im 18. Jahrhundert in einer Aufklärung, welche ihre christlichen Wurzeln abstreifen wollte, ein Weltverbesserungsprogramm durch. Je mehr Zweifel man an diesen Vorhaben hatte, desto mehr gewann wieder die Reinkarnationslehre im Westen an Boden. Allerdings entwickelte sie dort ein rational gewichtetes, elitäres Prinzip, das Wiedergeburt als Fortschreiten in Erkenntnis und vielleicht Gottähnlichkeit begreift, im Gegensatz zum östlichen Prinzip, wo es gerade um das Entrinnen aus diesem Kreislauf geht. Einige dieser elitären westlichen Reinkarnationsmodelle (Theosophie, Anthroposophie) weisen sogar einen Rassismus auf, der von nationalsozialistischen Ideologen später aufgegriffen wurde.

In der christlichen Theologie ist die Einmaligkeit des Lebens keine metaphysisch feststehende Tatsache. Es ist eine selbstverständliche Voraussetzung, die sich biblisch belegt. Die westliche Theologie will auch nicht diese Einmaligkeit beweisen, sondern versucht ein Anleitungsmodell zu erarbeiten, wie diese furchterregende Tatsache anständig gelebt werden kann.

Reinkarnationsmodelle können dazu missbraucht werden, den status quo zu sanktionieren. Darin ist etwa ein Armer arm, weil er sich in einem früheren Leben versündigt hat. Durch die Erfahrung der Armut erlangt er nun „Reinigung“. Dann muss auch nichts für die Überwindung von Armut getan werden. Doch die Einmaligkeit des Lebens kann ebenso missbraucht werden, indem man das Letzte aus dem Leben herauspressen will.

Der christliche Dialog mit der Reinkarnationslehre wird nicht ohne Verwundung geschehen. Sie gehört zum christlichen „Martyrium“, kann zum christlichen Zeugnis werden. Es sind nur verwundete Menschen, die sich von der grundlegenden Unsicherheit der menschlichen, individuellen und sozialen Existenz treffen lassen. Das Betroffensein von jeglicher Not des Anderen ist der Ort der Umkehr und des Zweifels.

Das Loslassen von sich selbst, jedoch nicht von seiner Persönlichkeit, hat auch eine christliche Tradition, etwa in der Gelassenheit eines Meister Eckhart. Entäußerung, wie Jesus Christus sie vollzog (Phil 2), ermöglicht Mitleid. Es ist das Mitleid, das Verbindung in ethischen Existenzen des Menschen gewährleistet, ob dieser sich der furchterregenden leidvollen Einmaligkeit des Lebens bewusst ist oder dem immerwährenden Kreislauf neuen Leids entkommen will.

S.D.G.

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