Askese üben, um Mensch zu sein

Die Askese hat einen schlechten Ruf. Viele meinen, es handelt sich bei ihr nur um etwas Verkehrtes, Unnatürliches, Beleidigendes. Man siedelt sie in der Religion an, als vergiftete Gesinnung des Priesters oder allzu fanatisch Frommer, besonders während der Fastenzeit vor dem Osterfest, welche die lebendige Natur herabsetzen, um die eigene Existenz zu bestätigen. Dieser Widerstand gegen die Askese fußt oft in dem Wunsch, einen Freibrief für die Beliebigkeit des Triebes zu erhalten. Dahinter steht ein falscher Begriff von Leben.

Der Mensch ist Teil der Natur, aber eben auch ein jemand, der sie bewusst erlebt. Ein Tier wächst und entfaltet sich, in dem es seinen Trieben folgt. Das Leben in Pflanzen und Tieren vollzieht sich in einem einfachen „Sich-Auswirkens“. Was drinnen ist, in Instinkten und Trieben, lebt sich hinaus. Im Menschen ist etwas wirksam, das sich in dieser Form im Tier nicht findet: der Geist. Er bringt alles, was „Natur“ heißt, in eine neue Situation. Im Raum des Geistes hat der Trieb eine andere Bedeutung, als in der bloßen Natur.

Der menschliche Geist bewirkt zunächst etwas Überraschendes: er steigert die Triebe! Bei keinem Tier gewinnt etwa der geschlechtliche Trieb eine Maßlosigkeit und Beliebigkeit, wie beim Menschen. Kein Tier nimmt Nahrung über seine Bedürfnisse zu sich, hat solche Lust am töten, wie der Mensch. Sein Geist setzt die Lebensimpulse in eine eigentümliche Freiheit. Sie werden stärker, tiefer, gewinnen viel mehr neue Möglichkeiten. Sie werden dadurch ungeregelt und gefährdet. Der Geist gibt dem Trieb einen neuen Sinn. Er wirkt sich in den Trieb hinein, schafft Tiefe, Schönheit und Charakter. Er setzt den Trieb in Beziehung zur Welt der Werte und zu dem, der sie trägt: der Person. Beim Tier sind die Triebe „Natur“, der Geist macht aus ihnen durch den Menschen „Kultur“.

Der Geist schafft eine Instanz, eine Höhe über dem Trieb. Dadurch wird er nicht zerstört, er gewinnt vielmehr die Möglichkeit sich zu ordnen, zu bilden, zu einem höheren Sinn geführt zu werden. Es ist sinnlos, wenn der Mensch in der bloßen Natur allein einen Maßstab für sein Leben sucht, das mag in seiner biologischen Gestalt richtig sein, aber „Askese“ bedeutet hier, dass der Mensch sich entschließt, ein Mensch zu sein, also geistig wirken zu können.

Die Triebe in sich sind keineswegs Böse, sie sind ein Geschenk Gottes. Sie zu schwächen, wäre so viel, wie das Leben zu schwächen. Es gibt religiöse Strömungen, die im Trieb das Böse einfachhin sehen. Dabei ist der Geist einfachhin das Gute. Doch das ist der Dualismus. Damit hat das Christentum nichts zu tun, da ist keine Leibfeindlichkeit. Askese bekämpft nicht das Triebleben, es übt die Notwendigkeit ein, es in eine gemäße Ordnung zu bringen. Diese wird von verschiedenen Gesichtspunkten her bestimmt: den Erfordernissen der Gesundheit, den Rücksichten auf andere Menschen, den Verpflichtungen gegen Beruf und Arbeit.

Askese, askesis, ist ein Wort aus der griechischen Sprache und bedeutet Übung. Es ist die Einübung in der richtigen Führung des Lebens. Der Mensch muss im Alltag aufgrund seiner Freiheit wählen und die Wahl durchsetzen, was Opfer und Anstrengung kostet. Das ist eben Askese. Sie ist notwendig als Weg in die Freiheit. Sie besteht darin, Herr seiner selbst zu werden, seiner Regungen und für den Umfang seiner Verantwortlichkeit.

Die geistigen Triebe sind weitaus bedeutender als die physischen Triebe. Der Aufbau dessen, was wir Persönlichkeit nennen, ihre Selbstbehauptung in der Welt, ihr Handeln und Schöpfen, ist von geistigen Trieben getragen. Um ein rechtes Maß zwischen individueller Lebensführung und den menschengerechten Umgang mit anderen zu finden, ist eine beständige Zucht nötig. Sie wird von Sittenlehre und Lebensweisheit bestimmt und man nennt sie Askese. Soll etwa eine Freundschaft dauern, dann muss über sie eine Wachsamkeit sein. Eine wirkliche Ehe ist ein Zusammenleben im Dasein in Gehilfenschaft und Treue. Ehe bedeutet, die Last des Anderen zu tragen. Jeder muss dem Anderen Raum geben, der zu sein, der er ist. Das zu wollen, und es gegen die Empfindlichkeiten, Trägheit, Enge der eigenen Natur durchzusetzen, ist wiederum Askese.

Wenn der Mensch das Kostbare aus seinem Leben herausholen will, dann muss er wissen, es geht nur so, dass er auf das Mindere verzichtet, damit er das Größere haben könne. Man darf sich dann nicht mit den oberflächlichen Genüssen und Lüsten zufrieden geben, die nicht von Dauer. Man darf nichts in einem solchen Übermaß über sich ergehen lassen, dass es einem gar zum Ekel wird.

Nun kann man argumentieren, wer sein Leben nicht beschneiden will, müsse alle seine Möglichkeiten herauskommen lassen und sie genießen. Man muss dann fragen: Was ist denn der eigentliche Inhalt des Lebens, sein Sinn und Maßstab? Ist es ausschließlich das Leben selbst, das starke, fühlsame, „reiche“ Leben? Der Sinn des Lebensaktes besteht nicht darin, seine eigenen Gefühle und seine Kraft zu genießen, sondern das zu verwirklichen, was dem Menschen aufgegeben ist. Er lebt wirklich und voll, wenn er die Verantwortung kennt, die er hat. Dazu gehört auch die Verantwortung für seinen Lebensraum, für die Natur, die Schöpfung Gottes, auf dass sie für Nachfolgende lebenswert bleibt. Und ebenso, wenn er das Werk vollbringt, das auf ihn wartet, den Menschen genügt, die ihm anvertraut sind. Das Richtige aber zu erkennen und zu wählen, das Falsche wegzutun, das ist Askese.

Man beachte, dass der Mensch so das Leben als Geschenk empfängt. Eine andere Weise wäre, es auf Kosten anderer und letztlich seiner selbst zu leben, in dem man nur nimmt und die Freude, beschenkt zu sein, nicht wahrnehmen kann. Das Leben ist ein Geschenk von Gott und niemand wird mit Gewalt zu ihm hin getrieben. Um bei Gott heimisch zu werden, ist „Einübung“ nötig. Sie muss gewollt und mit Selbstüberwindung getan werden. Wer so in seinem Stolz gefangen, allein auf seine Kraft und seine Triebe zurückgeworfen, dass er nicht mehr beschenkt werden will, hat den Sinn und das Ziel seines Menschseins verfehlt.

Der Mensch muss lernen Askese als Element jedes recht gelebten Lebens anzusehen und das nicht nur zur Fastenzeit. Es muss gut tun, um des Maßes willen, einem Drang Schranken zu setzen. Das weniger Wichtige, aber Anziehende zu lassen, um das Wichtigere zu tun, sich selbst in die Hand zu bekommen, um geistig frei zu werden, muss zur Freude werden. Es ist eine „Übung“ einen Schmerz auszuhalten, statt ihn zurückzudrängen, einen Verzicht innerlich anzunehmen. Einen unsympathischen Menschen in ruhiger Freundlichkeit zu begegnen. Es ist das Leben des Menschen, in welchem die inneren Antriebe durch den Geist in eine herrliche, aber auch gefährliche Freiheit gestellt sind. Dieser Geist gibt ihnen Dynamik und man muss zulassen, dass er die ordnende Macht ausübt. So wird das Leben, das eigene und die des anderen, nicht zerstört, sondern zu seiner Fülle gebracht.

S.D.G.

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