Ein chinesisches Weisheitswort sagt, je weniger Absichten jemand habe, desto mächtiger sei er. Das Menschenbild ist aber schon seit langer Zeit auf der Welt ein anderes: der Mensch muss voll von Absichten sein, ist nur erfolgreich, wenn er ohne Rücksicht seine Ziele verfolgt. Ein solcher Mensch glaubt, vollkommen zu sein, wenn alles, was er tut, sich den Zielen unterordnet, die er sich setzt.
Ein Mensch mit dieser beherrschenden Absichtshaltung will stets Eindruck machen. Er will Vorteile gewinnen, er lobt, um gelobt zu werden. Andere Menschen sind für ihn immer Konkurrenz im Dasein. Nun sind viele menschliche Beziehungen auf Abhängigkeiten und Zwecken aufgebaut. Dies ist richtig und einfachhin notwendig. Wir brauchen sie, dass wir erreichen können, was wir brauchen und uns auch dessen bewusst sind. Aber es gibt auch andere, nicht wenige Beziehungen, die auf der offenen Begegnung von Mensch zu Mensch ruhen. Wenn hier Zweck und Absicht die Haltung bestimmen, dann verschließt und verfälscht sich alles.
Jetzt nähern wir uns dem chinesischen Weisheitsgedanken vom Anfang. Je mehr man zu erreichen sucht, desto fester schließt der Andere sich zusammen und wehrt ab. Wenn jedoch deutlich wird, dass man ihn zu nichts treiben will, nur mit ihm sein und leben, nichts von ihm erreichen, nur der Sache dienen, dann lässt er die Abwehr fallen, öffnet sich. Die Kraft der Persönlichkeit wird umso stärker, je weniger Absichten am Werk sind.
Das gilt auch vom Verhältnis des Menschen zu seiner Arbeit. Der von Absichten beherrschte enthält seinem Werk vor, dass es zum reinen Dienst an der Sache wird. Es geht ihm nur um sein Vorankommen und seine Karriere. Von der Freiheit des Werkes und der Freudigkeit des Schaffens weiß er nicht viel. Natürlich muss ein Mensch wissen, was er will, sonst zerfließt ihm sein Tun. Aber dieses Tun soll nicht von Rücksichten bestimmt sein, die neben der Sache liegen. Man tut die Arbeit, die jeweils wichtig und an der Zeit ist. In innerlicher Zuwendung lebt man in und mit ihr, ohne Rücksichten und Seitenblicke. Die Absichtslosigkeit bewirkt, dass das Schöpferische frei wird. Ein Mensch, der so arbeitet, wird innerlich reich.
Hier öffnet sich der Weg zur Eigentlichkeit des Menschen: die Selbstlosigkeit. Der Mensch wird umso voller er selbst, je weniger er an sich denkt. Das falsche Selbst, das nur das „Ich“, Mir“, Mich“ kennt, bezieht sich nur auf das eigene Gelten und Gedeihen. Das eigentliche Selbst ist jedoch die Wahrheit der Person. In dem Maß der Mensch in der Selbstlosigkeit von sich weggeht, wächst er in das wesenhafte Selbst hinein.
Diese Freiheit des wahren Selbst bedeutet die Loslösung vom falschen Selbst, man hat kein Begehren und keine Angst mehr etwas zu verlieren, das einem nicht gehört und das man nicht braucht. Geschieht dies, ist der Mensch auch offen geworden für Gott. Er wird durchlässig für Gott, er ist eine „Tür“, durch welche Gottes Macht in die Welt einströmt. Sie kann Wahrheit, Ordnung und Frieden in ihr schaffen.
Aber hat denn Gott selbst keine Absichten, wenn doch durch seinen Willen alles besteht? Achten wir auf die Bedeutungen: „Absichten haben“, so wie das Wort bisher dem Sinn nach gebraucht worden ist, meint es etwas anderes als Wirken. Jedes Wirken hat ein Ziel, das erreicht werden soll, sonst wäre Chaos. Es ist aber etwas anderes, wenn der Handelnde nicht einfach dem anderen Menschen, oder der Sache zugewandt ist, sondern nur sich selbst meint, zur Geltung kommen will, Vorteile sucht. Gott schafft die Welt jedoch aus reiner göttlicher Sach-Freude. Er schafft die Dinge, auf dass sie seien, wahrheitsvoll, echt und schön. Der Mensch als sein Ebenbild tut auch dies in geringerer Form, wenn er wahre Kunst schafft.
Und dann ist da noch die göttliche Lenkung der Welt, das, was wir „Vorsehung“ nennen. Hat Gott da nicht immerfort „Absichten“? Doch was die höchste Wahrheit da will, sind nicht „Absichten“, die neben dem Eigentlichen herliefen, sondern der Sinn des Gewollten selbst, seine Wahrheit, die Erfüllung seines Wesens. Das ist die Liebe, die will, dass sie sich vermehrt und viele andere daran teilhaben.
Dieses Wollen des göttlichen Wesens ist auch die Macht, welche ein Ding an das andere bindet, ein Geschehen auf das andere bezieht, diesen Menschen in eine Gemeinschaft setzt mit jenem anderen und alle Menschen überhaupt mit allem in eine Beziehung bringt. Das ist keine „Absicht“, sondern „Weisheit“. Eine Weisheit, die für jeden Menschen erst am Tag des göttlichen Gerichts, in der Seeligkeit des Paradieses, bis ins letzte hinein offenbart wird und als Ausdruck von Gottes Liebe erkannt. All die Fragen der Lebensnot bekommen ihre Antwort aus der Weisheit Gottes. Sie wirkt, dass die Dinge nicht ein Haufen von Sachen und die Geschehnisse nicht ein Durcheinander von Vorfällen, sondern dass „Welt“ sei und in ihr das Leben, in dem jeder Augenblick von Gott her seinen Sinn erhält.
S.D.G.