Sie ist eine Tugend und um dies zu verstehen, muss man beim großen Geduldigen ansetzen, nämlich Gott. Er ist deshalb der Herr der Geduld, weil er der Allmächtige und Liebende ist. Man erkennt es besonders daran, in dem wir fragen, warum Gott überhaupt etwas geschaffen hat. Wir Menschen können auf Erden darauf nicht antworten, denn es setzt voraus, von Gott her denken zu können. Es bleibt eine Ungewissheit, wenn wir feststellen, dass Gott der Welt doch nicht bedarf, ob sie ihm denn nützt, was er mit ihr tut. Bei diesen Erwägungen kann man eine Wurzel göttlicher Geduld erahnen.
Der wahre Gott hat die Welt zudem nicht nur erschaffen, sondern er hält und trägt sie. Wie es anders sein kann, erzählt ein indischer Mythos von Shiva, dem Allgestalter. In einem Sturm der Entzückung schaffte er die Welt, dann aber wurde sie ihm überdrüssig, er tritt sie in Scherben und so geht es immerfort. Der wirkliche Gott steht anders zur Welt. Obwohl sie für ihn und seinen ewigen, absoluten Anspruch nicht „genügt“, wird sie ihm nicht überdrüssig. Das ist eine Wurzel der Geduld, eine Treue, die für immer hält.
Gott hat dem Menschen diese Welt anvertraut, damit sie nicht nur da ist, sondern erlebt wird. Damit sie bewusst erlebt wird. Der Mensch der Postmoderne neigt dazu, alles, was geschieht, einfach hinzunehmen, als wäre alles mechanisch zu verstehen. Eins wird an das andere gereiht, eins wird aus dem anderen hergeleitet, alles wird als notwendig erklärt und es wird Geschichte genannt. Wer jedoch zu unterscheiden lernt, das Wahre wahr und das Falsche falsch zu nennen, das Rechte recht, das Unrechte unrecht, der kann das nicht mehr. Er erschrickt darüber, wie der Mensch mit der Welt umgeht. Dennoch wirft Gott seine vom Menschen vielfach verdorbene Schöpfung nicht weg.
Gottes Geduld ist, weil er Allvermögend ist. Gott fühlt keine Schwäche, als wahrer Herr ist er unbedroht, er ist der Ewige, für den es weder Eile noch Angst gibt. Der Mensch soll aus der Welt machen, was Gott erwartet. Auch weiterhin jetzt, nachdem das Unkraut auf der von Gott gut erschaffenen Welt alles durchwuchert hat. Geduld ist die Voraussetzung dafür, dass der Weizen, das Gute, zwischen all dem Bösen, wachsen kann.
Die Ungeduld ist nur möglich für ein Wesen, das die Fähigkeit hat, sich über die unmittelbare Wirklichkeit zu erheben und zu wollen, was noch nicht ist. Dies ist ein immer wieder neuer Vorgang. Es ist eine Spannung zwischen dem, was der Mensch ist, und dem, was er sein möchte. Nur die Geduld kann diese Spannung ertragen.
Es ist vor allem die Geduld mit dem, was dem einzelnen Menschen gegeben und geschickt wird, dem „Schicksal“. Das ist die Umgebung, die einem zugewiesen, die Ereignisse der Geschichte, welche das Leben und die Erfahrung prägen. All das muss der Mensch annehmen, alles was kommt und gegeben wird. Das zu verstehen und sich danach halten, ist Geduld.
Diese Geduld muss man auch haben mit den Menschen, mit denen man verbunden ist. Als Eltern, Ehepartner, Kind, Freund, Arbeitsgenosse. Ein mündiges, verantwortetes Leben beginnt damit, dass man die Menschen annimmt, wie sie sind. Hier ist oftmals die Treue vor allem Geduld. Übt man dies nicht aus, werden Beziehungen verspielt.
Dann muss man auch Geduld mit sich selbst haben. Der Mensch weiß oft sehr genau, wie er sein möchte. Es ist demütigend, diesen Wunsch nicht verwirklichen zu können. Man fühlt immer die gleichen Schwächen, Fehler und Kümmerlichkeiten. Ohne Überdruss muss man dies annehmen, aushalten. Man soll nicht gut nennen, was nicht gut ist, nicht selbstzufrieden werden nach Art eines Philisters. Man kann aber am Gegebenen ansetzen und von da aus weiterarbeiten und wissen, dass es langsam gehen wird. Diese Langsamkeit ist aber Gewähr dafür, dass der Wandel kein Fantasieprodukt ist, sondern sich in der Wirklichkeit vollzieht.
Der sittliche Wandel läuft dabei besonders Gefahr, nur eine Vorstellung zu bleiben. In eine Tugend kann man sich auch hineinträumen, Moralismus entsteht, der nur oberflächlich gut sein will und das Ganze und die Liebe aus dem Blick verliert. In solches fantasieren wird viel sittliche Energie verzehrt, von der Unwahrhaftigkeit ganz abgesehen. Man schnellt auch oft wieder ins Alte zurück, und alles ist, wie es war.
Wirkliches sittliches Werden beginnt damit, dass man sich weniger leicht in den Stoß des Gefühls hineinreißen lässt, frei bleibt, einen Stand über dem inneren Geschehen gewinnt. Dies geht wiederum sehr langsam vor sich. Aber die Geduld ist es, die immer neu anfängt. Dies ist die Voraussetzung dafür, dass wirklich etwas geschieht. Im Lebendigen gilt nicht das Mechanische, das nur einen Anfang besitzt. Im Lebendigen ist das Anfangen ein Element, das immerfort wirksam werden muss. Nichts schreitet voran, wenn es nicht zugleich anfängt.
Wie jede Tugend ist die Geduld niemals allein stehend. Es gibt keine Haltung, die nur Geduld wäre. Geduld ist z.B. nie ohne Einsicht möglich, ohne ein Wissen, um die Weise, wie das Leben geht. Geduld ist Weisheit. Ein Verständnis dafür, was man hat und nicht, wie man ist und nicht, mit wem man verbunden. Dies sind die Dinge, die am Anfang vorhanden sind und man muss dies annehmen. So ist dann Weisheit die Einsicht in die Weise, wie Verwirklichung geschieht.
Zur Geduld gehört viel Kraft. Nur ein starker Mensch kann lebendige Geduld üben. Nur er kann immer neu auf sich nehmen, was ist und immer wieder neu beginnen. Zu einer echten Geduld gehört auch die Liebe zum Leben. Es verlangt Vertrauen, all die Umwege und Wege im Leben anzunehmen und nur die Liebe vertraut. Wer das Leben nicht liebt, hat mit ihm keine Geduld.
Geduld ist der werdende Mensch, der sich selbst richtig versteht. Ist jemanden ein anderer Mensch anvertraut, dann gedeiht dieser allein in der Hand der Geduld. Wo immer dem Menschen Leben in die Hand gegeben ist, kann die Arbeit nur gedeihen, wenn sie mit der tiefen und stillen Kraft der Geduld getan wird. Hier erinnern wir uns daran, dass wir alle in der Hand und damit der Geduld von Gott wachsen sollen. An diesen lebendigen Gott, der unser und seiner Welt niemals überdrüssig wird, dürfen wir uns immer wenden, wenn es uns an Geduld fehlt. Gott liebt uns und die Welt in stiller Aufmerksamkeit und lässt sie reifen.
S.D.G.