Jede Generation muss die Herausforderungen ihrer Zeit meistern. Ein Christ wird sich nicht gleichgültig der Umgebung, dem Zeitgeist anpassen. Er verschließt sich nicht selbstherrlich oder steht verkrampft den Herausforderungen gegenüber. Er bewegt sich intensiv mit Interesse und Sympathie auf die Menschen um ihn herum zu. Kirche ist keine geschlossene Gesellschaft, meist schöpferische Minderheit. Der Geist Gottes schenkt ihr dazu Mut und Fantasie zum Segen für viele zu werden.
Dabei ergänzen sich Glaube und Vernunft. Im Glauben an Gott, der im Herzen wohnt, sind die Werte, Herkunft, Sinn und Ziel des Lebens und der Schöpfung gefestigt, die Vernunft überträgt sie in den Alltag. Die Vernunft überprüft den Glauben, der Glaube entlarvt Unvernunft.
Unvernunft, auch Torheit genannt, wird in der Bibel als böse bezeichnet: „Denn von innen, aus dem Herzen der Menschen, kommen die bösen Gedanken, Unzucht, Diebstahl, Mord, Ehebruch, Habgier, Bosheit, Hinterlist, Ausschweifung, Neid, Lästerung, Hochmut und Unvernunft. All dieses Böse kommt von innen und macht den Menschen unrein“ (Mk 7:21-23). Ist in diesem Zusammenhang, in den sie Jesus stellt, Unvernunft ein Thema der Ethik?
Unvernunft meint darin mehr Ignoranz als Dummheit. Denn Vernunft hat eine andere Qualität als Verstand, erst recht als Sachverstand. Man kann nämlich von einem Sachverhalt durchaus keine Ahnung haben, aber sich dennoch zu dieser Sache vernünftig verhalten. Jedoch wer alles, was andere Menschen, die Ahnung haben, ignoriert, ist unvernünftig.
Unvernunft bedeutet hier eine Selbstgefälligkeit, die sich nicht darum kümmert, was es gegen die eigene Vorstellung einzuwenden gäbe. Es ist eine Unbesonnenheit, die Verweigerung, sich auf Argumente und Gegenargumente zu besinnen, ein verharren in einer selbstgewählten Unfreiheit, die den Sinn des Lebens unnötig auf den Eigensinn verengt. Dabei wird diese Unbesonnenheit noch für besonders mutig gehalten, ist aber nur übermütig und eigensinnig.
So kann Ethik durch Unvernunft zu Moralismus werden, eine Haltung, die andere Menschen aus Ignoranz und Selbstzentriertheit eigene Meinungen, Verhaltens- und Lebensweisen aufdrängen will. Dabei wirkt oft eine Doppelmoral, die mit eigenen Fehlern nachsichtig, mit denen anderer unnachsichtig umgeht, sogar von ihnen jenes verlangt, was man selbst nicht leisten kann oder will, aber für notwendig hält, um sein Leben ohne Veränderung fortführen zu können. Moralismus wird auf Toleranz und Vielfalt pochen, verurteilt den Anderen jedoch zu einem bösen Menschen, weil er nicht dem eigensinnigen, selbstgefälligen Moralismus folgt, den man damit intolerant verteidigt.
Das ist tatsächlich böse, besonders, wenn man mit dieser Unbesonnenheit und Eigensinnigkeit andere schadet. Denn das eigene Böse, das aus einem herauskommt, dem anderen im Innern zu unterstellen, um diesen als böse zu verurteilen, ist nicht nur subtil und selbstgerecht, sondern auch unvernünftig.
S.D.G.