In Betlehem wurde Jesus geboren, aber seine Heimat war Nazareth. Sein Beiname „der Nazarener“ kann auf seine Herkunft und Heimat hinweisen. Als Erwachsener ist Jesus nicht mehr nach Betlehem zurückgekehrt. Nazareth war damals allerdings nur ein kleiner, unbedeutender Ort in Galiläa und wohl nicht sehr anerkannt, wie der Ausspruch von Nathanael in Joh 1:46 bezeugt: „Aus Nazareth? Kann von dort etwas Gutes kommen?“
Im Alten Testament erfährt man nichts über Nazareth. Auch der jüdische Schriftsteller Josephus Flavius erwähnt es nicht. Aus den synoptischen Evangelien jedoch werden uns zwei Dinge überliefert: Der Ort hatte eine Synagoge, die Jesus am Sabbat besuchte, um aus der Jesaia-Rolle vorzulesen, die sich auf seine Sendung bezog (Lk 4:16-17). Der Standort einer Synagoge in Nazareth lässt dann doch einen etwas größeren Ort vermuten. Und weiter wird überliefert, dass am Rand der Stadt ein Bergabhang lag, über den das zornige Volk Jesus nach seiner Rede hinabstürzen wollte (Lk 4:28-30).
Eine erste Erwähnung von Nazareth außerhalb der Evangelien erfolgte in jüdischen Texten aus dem Ende des ersten nachchristlichen Jahrhunderts. Sie wissen von einer judenchristlichen Gemeinde, die an einen „Jeshua‘ Hannozri“ (Jesus von Nazareth) glaubt und dort ist auch von „nosrim“ (Nazarener) die Rede. Die Archäologie liefert jedoch eine Fülle von Hinweisen auf das alte Nazareth. So stammen erste Siedlungsspuren aus der Bronzezeit (2000 – 1550 v. Chr.), die dort aufgefunden wurden, wo sich heute die große Verkündigungsbasilika, der Konvent der Franziskaner und die Josefskirche befindet. Die Ausgrabungen brachten Häuserreste, Grotten und Höhlen zu Tage, die für häusliche und landwirtschaftliche Arbeiten sowie als Unterkunft für Tiere oder als Getreidesilos bestimmt waren. Teile dieser alten Spuren sind heute bei der Verkündigungsbasilika zu besichtigen und es wurde ein biblischer Park eingerichtet, der eine Vorstellung vom Leben in Nazareth zur Zeit Jesu vermittelt.
In der Nähe von Nazareth liegt Sepphoris, damals Verwaltungs- und Handelszentrum von Galiläa. Zur Zeit Jesu wurde diese Stadt im Auftrag des Tetrarchen Herodes Antipas nach römischer Art erbaut. Zu vermuten ist, dass die Handwerker von Nazareth, vielleicht sogar der „Baumeister“ Josef mit seinem Sohn, an diesem Projekt mitarbeiteten (siehe dazu auch mein Beitrag: Christusorte – Sepphoris). Weitere schriftliche Dokumente und Ausgrabungen lassen vermuten, dass es seit dem 1. Jahrhundert in Nazareth eine jüdische Gruppe von Gläubigen gab unter denen sich auch Verwandte von Jesus befanden. Dies bezeugen die Kirchenschriftsteller Hegesipp (2. Jh.), Sextus Julius Africanus (vor 250) und Eusebius von Caesarea (4. Jh.). In den Texten ist von einem Judas mit seinen Söhnen Joses und Jakobus die Rede. Wahrscheinlich ist zudem, dass auch der Diakon Conon zu dieser Gruppe von Verwandten zählte, der unter Kaiser Decius (249 – 251) den Märtyrertod erlitt. In der Verkündigungsbasilika erinnert heute noch ein altes Mosaik an ihn. Der Kirchenhistoriker Eusebius sagt in seinem Onomasticon aus, dass das Dorf Nazareth den Nazarenern ihren Namen verlieh, sich in Galiläa befindet und von Legio, früher Meghiddo, 15 Kilometer entfernt sei, in der Nähe des Berges Tabor.
Die schriftliche Quellenlage über Nazareth verbessert sich in byzantinischer Zeit. Epiphanius (4. Jh.) spricht von der Absicht des Grafen Joseph, in Nazareth und Galiläa Kirchen bauen zu wollen, die er Kaiser Konstantin mit der Bitte um eine Baugenehmigung mitteilte. Eine alte Biografie über die Hl. Helena berichtet von einem Besuch der Kaisermutter in Nazareth, um das Haus der Verkündigung des Engels Gabriels an Maria zu sehen und dort ein Heiligtum zu errichten. Der Hl. Hieronymus besuchte Nazareth mit seinen römischen Schülerinnen und Gönnerinnen Paula und Eustochium. Er weiß jedoch von keiner Gebetsstätte beim Haus Marias, wohl weil es von Juden-Christen besetzt war, die den Heiden-Christen, zu denen auch Hieronymus gehörte, mit Vorbehalten gegenüber standen. Deshalb gab es im 4. Jh. in Nazareth tatsächlich zwei Gemeinden, eine jüdische und eine christliche, jede mit eigenen Kultorten. Die Juden besuchten ihre Synagoge, die Christen versammelten sich beim Haus Mariens. Ein Bericht des Pilgers von Piacenza (um 570) setzt uns davon in Kenntnis und er spricht weiter von einer Basilika, in der die Kleider der Maria zu sehen sind und von denen bei Berührung „viele Wohltaten ausgingen“.
Die Perser eroberten 614 das Hl. Land und die christliche Gemeinde in Nazareth wurde Opfer einer blutigen Verfolgung durch die jüdische Gemeinde. Diese schlug sich unter Chosroes II. auf die persische Seite. Im Jahr 630 eroberten die Byzantiner Galiläa wieder zurück und nun wurden die Juden Opfer von christlichen Verfolgungen, so dass die Anwesenheit von Juden in Nazareth endete. Der Pilger Arkulf besuchte den Ort im Jahre 670 und berichtet von zwei Kirchen, der Kirche der Ernährung, die Vorgängerkirche der heutigen Josefs-Kirche, und die Kirche beim Haus Mariens, auch Basilika der Verkündigung genannt. Von einer Synagoge weiß er nichts mehr. Von der folgenden arabischen Geschichtsperiode (638 – 1099) sind nur wenige Informationen überliefert. Die Lebensbeschreibung des Hl. Willibald, der das Hl. Land 723 – 726 besuchte, erwähnt nur eine Kirche in Nazareth, die Basilika der Verkündigung. Diese bezeugt später im Jahr 943 auch ein arabischer Historiker und Geograf.
Die Kreuzfahrer eroberten das Hl. Land und Jerusalem 1099 und errichteten ein Königreich. Dabei wurde Tankred von Hauteville zum Prinzen von Galiläa ernannt. Er begann nach seiner Einsetzung mit dem Bau von Kirchen an den biblischen Orten in seinem Herrschaftsbereich, insbesondere in Nazareth, Tiberias und auf dem Berg Tabor. So berichtet der aus Jerusalem gebürtige mittelalterliche Historiker Wilhelm von Tyrus (1127 – 1184). Vom angelsächsischen Pilger Saewulf liegt ein Bericht von seinem Besuch in Nazareth im Jahre 1102 vor, der von einem Dorf in Ruinen spricht, aber ebenso von einem prächtigen Kloster bei der Basilika der Verkündigung. Hier war von 1109 bis 1263 ein Bischofssitz, wobei die Verkündigungskirche aufwändig restauriert und ausgeschmückt wurde. Weitere mittelalterliche Berichte wissen dann von zahlreichen anderen heiligen Orten in Nazareth. Sie berichten von einer Kirche des Hl. Josef, einer Kapelle des Hl. Zacharias, vom Marienbrunnen in der Nähe der Kirche des Hl. Gabriel, von einer Synagoge und dem Berg des Absturzes.
Nach der Niederlage der Kreuzritter bei den Hörnern von Hattin im Jahr 1187 gegen Saladin wurde Galiläa und Nazareth von den Muslimen eingenommen. Dabei ermordeten sie die Christen, die in der Basilika der Verkündigung Schutz suchten. In diesen Jahren besuchte Raul von Coggeshall das Hl. Land und er berichtet von den zahlreichen Entweihungen heiliger Stätten, welche die „Söhne von Sodoma“, wie er sie nennt, anrichteten. Im Jahr 1192 kam es dann zu einem Friedensvertrag der Kreuzfahrer mit den Muslimen, der einen freien Zugang der Christen zur Verkündigungsbasilika ermöglichte. Bis zum Vertragsbruch durch Sultan Malik al-Adil im Jahr 1211 konnten wieder viele Pilger zu den heiligen Stätten Nazareths strömen.
Im Jahr 1229 handelte Kaiser Friedrich II. mit Sultan Malik al-Kamil einen zehnjährigen Vertrag aus, in dem die Städte Nazareth, Jerusalem und Betlehem den Christen überlassen wurden. Viele Pilger besuchten nun wieder das Hl. Land, so auch der französische König Ludwig IX., der am 24. März 1251 an einer Messe in der Basilika von Nazareth teilnahm. Die Mamelucken begannen 1260 von Ägypten aus mit militärischen Aktionen gegen die Kreuzfahrer, aber auch gegen die Ayyoubiden-Dynastie in Syrien und Palästina. 1263 befahl Sultan Baybars seinem Heer alle christlichen Stätten einzunehmen und zu zerstören, so auch die Verkündigungsbasilika in Nazareth und die Kirche auf dem Berg Tabor.
Die mameluckische Periode dauerte von 1291 bis 1517 und in dieser Zeit ging die Bevölkerungszahl von Nazareth stark zurück, womit sie auch an Bedeutung verlor. Einige mutige Pilger jener Zeit berichten von einer kleinen Kapelle, welche die Verkündigungsgrotte barg und die nur durch Bezahlung einer Taxe an die Muslime betreten werden durfte. Andere erwähnte Pilgerstätten sind der Marienbrunnen, die Kirche des Hl. Gabriel, die von Griechen betreute Synagogenkirche und eine Grotte am Berg des Absturzes. Im 14. Jahrhundert ließ sich dann eine kleine franziskanische Gemeinschaft in Nazareth nieder, die aber bald wieder gezwungen wurde den Ort zu verlassen.
In der Periode des türkisch-osmanischen Reiches (1517 – 1917) genoss die griechische Kirche von Seiten der Sultane große Unterstützung, im Gegensatz zur lateinischen Kirche, die außerhalb des Osmanischen Reiches ihren Hauptsitz hatte. So konnten Messen in der Kirche des Hl. Gabriel vom griechischen Klerus gefeiert werden, wie Kustos Bonifatius von Ragusa berichtet. Der Drusen-Emir von Sidon, Fakr-el Din II., ermöglichte im Jahre 1620 den Franziskanern den Erwerb der Verkündigungsgrotte und der Ruinen der Basilika von Nazareth sowie auf dem Berg Tabor. Nach den Franziskanern gelang es auch den Maroniten und Melkiten sich in Nazareth niederzulassen. Diese beiden orientalischen katholischen Kirchen bilden dort heute den größten Teil der Christen.
Allerdings litten die Christen unter dem Machtmissbrauch der Muslimen. Nazareth wurde im Jahr 1624 auf Befehl des Emirs Tarabei geplündert, 1638 greifen Muslimen aus Sepphoris die Bewohner von Nazareth an, das Dorf wurde geplündert und niedergebrannt. Im 19. Jahrhundert kam es zu einer liberalen und reformfreudigen Politik im Osmanischen Reich, besonders unter Sultan Abdülmecid (1836 – 1861). Nazareth profitierte davon durch eine stabilere Ökonomie, was zu einem wirtschaftlichen Aufschwung beitrug. Nun stellten die 4000 Christen gegenüber den 2000 Muslimen die Mehrheit in der Stadt.
Als General Allenby 1918 seine britischen Truppen nach Galiläa führte, zählte Nazareth 8000 Einwohner, wovon zwei Drittel Christen waren. Während der britischen Mandatszeit zog Wohlstand in die Stadt ein, zumal es bis 1948 Verwaltungszentrum wurde. Die Zahl der Christen verdoppelte sich auf etwa 18000 und karitative und soziale Einrichtungen der verschiedenen Kirchen erlebten einen großen Aufschwung. Nazareth wurde 1948 Teil des neu gegründeten Staates Israel. Dies führte zu kritischen Momenten unter den Gläubigen der lokalen Kirchen, wenn sie jüdischen oder arabischen Ursprungs waren. So hatte der israelische Unabhängigkeitskrieg großen Einfluss auf die Verteilung der arabischen Bevölkerung. Zum Kriegsende ließen sich 12000 Flüchtlinge aus den moslemischen Dörfern Palästinas in Nazareth nieder. Ende des 20. Jahrhundert waren dort 70 Prozent der Bevölkerung muslimisch.
1960 lebten 60000 Menschen in Nazareth, 2012 307000, ein explosionsartiger Zuwachs an Einwohnern. Davon sind 21,1 Prozent jüdischer Herkunft, Nazareth bewahrte sich also sein arabisches Gesicht, obwohl mit Nazareth Illit (Ober-Nazareth) ab 1957 ein jüdisches Stadtviertel mit Justizpalast und Rathaus entstand. 1969 wurde die neue Verkündigungsbasilika eingeweiht, die Pilger an die Menschwerdung Gottes erinnert. Die lebendige einheimische christliche Gemeinde hat heute etwa 5000 Gläubige.
Eine erste Anwesenheit der Franziskaner nach dem missglückten Versuch im 14. Jahrhundert ist für das Jahr 1547 bezeugt. Ein Erlass vom Sultan erlaubte ihnen die Verkündigungskirche in Nazareth wieder aufzubauen. Doch aufgrund der ständigen Attacken von muslimischer Seite mussten sie erneut fliehen. Erst 1620 konnten sie dann wieder zurückkehren, wie bereits erwähnt. Die ersten franziskanischen Brüder waren ein Franzose mit dem Namen Jakobus de Vendome und zwei weitere aus Jerusalem. Sie kümmerten sich um die Verkündigungsgrotte und richteten sich in den Ruinen der Kreuzfahrerkirche einige Zellen ein. Allerdings wurden diese Zellen über zwei Jahrhunderte hindurch immer wieder zum Ziel türkischer Angriffe. Nach Plünderungen, Mord und Einkerkerung mussten die Brüder immer wieder in den Konvent nach Akko oder Jerusalem flüchten. Trotzdem entstand bereits 1645 eine erste Schule. Um eine größere Sicherheit zu erlangen wurden die Franziskaner von 1697 bis 1770 quasi zu Lehen des Paschas von Saida, indem sie gegen eine Steuer in Nazareth und einige umgebende Siedlungen die Verwaltung ausübten. 1842 wurde die Mädchenschule der Franziskaner in Nazareth gegründet, 1867 ein Noviziat für junge Brüder eingerichtet, das bis 1940 bestand. Auch entstand 1837 eine Pilgerherberge, die Casa Nova. Bis heute verwalten die Franziskaner auch eine große Schule mit Kindergarten mit etwa 1000 Schülern. Die katholische Pfarrei Nazareths wird von Franziskaner betreut.
Die Verkündigungskirche mit der Verkündigungsgrotte bekam 1730 eine kleine franziskanische Kapelle. 1877 musste daran ein größeres Kirchenschiff angebaut werden. 1930 ging man daran erneut zu vergrößern und dabei auch archäologische Ausgrabungen durchzuführen. So fand man eines der ältesten Zeugnisse der Marienverehrung, ein antiker Säulenrest mit der griechischen Inschrift XE MAPIA – Gegrüßet bist Du, Maria. Aus der Kreuzfahrerzeit kamen romanische Kapitelle zu Tage, welche die Geschichte der Apostel darstellen. Sie waren noch nicht verbaut gewesen und wurden vor den Mamelucken versteckt und vergraben.
Die heutige große Verkündigungskirche hat der Mailänder Architekt Giovanni Muzio geplant. Der Bau wurde 1960 – 1969 durchgeführt. In unmittelbarer Nähe steht die Josefskirche. 1914 erbaute sie der deutsche Franziskanerbruder Wendelin Hinterkeuser aus Menden. In der Kirchenkrypta findet man Mosaikreste eines jüdisch-christlichen Taufbeckens aus byzantinischer Zeit. Die religiöse Gemeinschaft „Chemin Neuf“ unterhält unweit davon ein Informationszentrum „Maria von Nazareth“, in dem moderne Medien dem Pilger die spirituelle Seite Nazareths erschließen will. In den engen Straßen der Altstadt von Nazareth steht ein Gebäude das mit der alten Synagoge in Zusammenhang gebracht wird, wo einst Jesus lehrte. Weitere besondere Orte sind der Marienbrunnen, an dem wohl auch Maria Wasser schöpfte und die Gabrielskirche.
Quelle: http://www.custodia.org
der emmauspilger
S.D.G.